Autofreie Stadt

Auf in die Zukunft

 

Europäische Kommission: Straßen wieder für Menschen nutzbar machen

Die Verschwendung des öffentlichen Raums: 75 Menschen fahren entweder in _60_ Autos oder in _einem_ BusAus der Bundesregierung wird in nächster Zeit wenig erfreuliches zu hören sein und auch von der EU-Kommission ist man kaum an positive Nachrichten gewöhnt. Über manche Erzeugnisse aus der Brüsseler EU-Zentrale freut man sich aber doch. Eins davon ist das Handbuch mit dem Titel "Reclaiming city streets for people" (PDF, eng.) aus dem Jahre 2004. Herausgegeben wurde es von der damals für Umweltfragen zuständigen Margot Wallström, einer schwedischen Sozialdemokratin, die inzwischen zur Vizepräsidenten in der EU-Kommission aufgestiegen ist.

In dem Handbuch werden unterschiedliche Konzepte zur Einführung von Fußgängerzonen und zum Zurückdrängen des Autoverkehrs aus den Stadtzentren anhand von Fallbeispielen sehr anschaulich vorgestellt. Besonderes Augenmerk wird auf das Phänomen der "Verkehrsverpuffung" gelegt. Das ist die Kehrseite von "Wer Straßen sät wird Verkehr ernten": wenn Straßen für Fußgänger und Fahrradfahrer umgestaltet werden, verschwinden tatsächlich Autos.

Dieser Verkehr ist dann nicht auf Seiten- und Nebenstraßen zu finden, sondern komplett "verpufft". Eine Studie im Auftrag des englischen Verkehrsministeriums stellte fest, dass Autofahrer auf ein geringeres Platzangebot eben nicht wie in Computermodellen angenommen reagieren und im Stau stehenbleiben, sondern auf andere Verkehrsmittel umsteigen, weniger Wege mit dem Auto zurücklegen und langfristig sogar näher an ihren Arbeitsplatz ziehen.


 

Kurzstrecken killen Klima

Das Bundesumweltministerium hat mal wieder - zusammen mit dem tatsächlich empfehlenswerten Verkehrsclub VCD - eine neue Kampagne gestartet: "Kopf an, Motor aus. Für null CO2 auf Kurzstrecken". Damit soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass 50% (!) aller Autofahrten unter 6 km weit sind. Strecken, die mit dem Fahrrad oder sogar zu Fuß niemanden außer Puste bringen.

Die Angelsachsen sagen "talk is cheap", eine Kampagne ist schnell gemacht und niemand muss wirklich sein Verhalten ändern. Dabei wäre ein solcher Umstieg mit dem entsprechenden Willen durchaus machbar: so könnte man Wohngebiete nach und nach zu Sackgassen umbauen, das kostet nicht viel und macht Kurzstrecken für Autofahrer unattraktiv. Wer mit dem Auto lange Umwege fahren muss, geht eher zu Fuß oder nimmt das Rad.

Noch fehlt dazu leider der politische Wille, aber die öffentliche Meinung ändert sich. Zu absurd werden immer neue Programme, mit denen die Menschen in die Autos gebracht werden sollen. So ist sich Berlin nicht zu blöd, eine Autobahn mitten durch eine Stadt zu bauen, in der der Autoverkehr seit Jahren sinkt und nur 50% der Haushalte überhaupt eins besitzen.

Aber das Jahrhundert des Autos ist vorbei. Es wird wie immer einige Jahre dauern, bis diese Veränderung auch in der "großen" Politik ankommt, aber schon bald werden weitere Autoförderprogramme den Politikern Stimmen kosten - und dann wird auch dort ein Umdenken anfangen. Bis dahin können wir uns noch an ein paar gut gemeinten, windelweichen Kampagnen erfreuen.

 

Abwrackprämie fürs Fahrrad

Der VCD hat eine Aktion gestartet, um das Wirtschaftsministerium darauf aufmerksam zu machen, dass nicht nur Autofahrer eine Prämie verdienen. Hier mitmachen!

 

Kein Geld für Bus und Bahn

Laut dem VCD will der Bundestag ein Konjukturprogramm beschliessen, dass Straßenbau und Autokauf mit mehreren Milliarden Euro unterstützt. Die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs ist in dem jetzigen Gesetzesentwurf dabei nicht einfach vergessen worden, sondern ausdrücklich verboten!

Wer sich noch wundert, wer dieses Land eigentlich regiert, sollte die Jahresvorschau 2009 von Horst Evers lesen. Ein paar Ausschnitte:

Januar: Um die Autoindustrie zu retten führt die Bundesregierung den Führerschein ab 15 ein.
März: Um die Automobilbauer zu stützen, verabschiedet die Bundesregierung ein neues Einwanderungsgesetz. Beim Kauf von zwei in Deutschland produzierten Autos erhält man eine doppelte Staatsbürgerschaft gratis. Führerschein jetzt ab 13.
Mai: Zur Belebung der Autoindustrie wird die Kfz-Steuer abgeschafft. Stattdessen führt man nur kurze Zeit später eine Anti-Kfz-Steuer ein, welche nun jeder Haushalt ohne Automobil zu entrichten hat. Führerschein jetzt ab zehn.
Juli: Die Anti-Kfz-Steuer wird ausgeweitet und gilt nun für alle Haushalte mit weniger als zwei Automobilen.

... noch Fragen?

 

Vision Zero

In der skandinavischen Politik gilt die "Vision Zero" schon seit 1997, in Deutschland wird sie von den meisten Entscheidern noch - bewusst oder unbewusst - missverstanden. Vision Zero bedeutet: keine Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr mehr.

Es klingt nach einem unrealistischen Ziel. Keine Unfälle mehr? Unmöglich.

Das ist schon das Mißverständnis, denn es geht nicht darum, Unfälle völlig zu vermeiden. Natürlich geht das nicht, denn jeder Mensch macht Fehler. Letztlich bedeutet es einen Perspektivenwechsel: anstatt den Menschen als Störfaktor im Straßenverkehr zu sehen, geht es darum, das System Verkehr so zu verändern, dass Menschen nicht mehr zu Schaden kommen können. Und das, selbst wenn sie Fehler machen, ob am Steuer oder als Fußgänger.

 

Muskelkraft oder Schrittgeschwindigkeit

Das wäre der erste Schritt zu einer menschengerechten Stadt. Notfallfahrzeuge und öffentlicher Nahverkehr unterliegen natürlich anderen Rahmenbedingungen, aber wenn aller Individualverkehr diesen Vorgaben folgte, wären zumindest den krassesten Auswüchsen des städtischen Verkehrs die Spitze genommen. Kinder könnten wieder auf den Straßen spielen und Erwachsenen wäre der öffentliche Raum als Begegnungsort zurückgegeben.

Mit Muskelkraft betriebene Fahrzeuge können gar nicht die Geschwindigkeit und Masse aufbringen, um eine große Gefahr zu sein. Natürlich müssen sich Fahrräder an bestimmte Wege und Vorgaben halten, um andere nicht übermäßig zu gefährden, aber selbst der schlimmste Fahrradunfall ist nicht mit einem Autounfall zu vergleichen. Ganz abgesehen davon, dass die wenigsten Fahrradfahrer überhaupt in der Lage sind, gefährliche Geschwindigkeit erreichen.

Was allerdings nicht funktionieren wird, ist zu hoffen, dass sich Auto- und Motorradfahrer von selbst an Geschwindigkeitsvorgaben halten. Die Erfahrungen der letzten 50 Jahre haben gezeigt, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Geschwindigkeit den Umständen oder Geschwindigkeitsbegrenzungen anzupassen.

 

Deutsche "Lösung" macht Schule

Nachdem schon Minister Tiefensee vorwärts in letzte Jahrhundert stürmt, will Polen sich nicht lumpen lassen. Im Gegensatz zu den Deutschen tut Premier Donald Tusk wenigstens nicht so, als wäre das zeitgemäß:

Er ist davon überzeugt dass die steigenden Arbeitslosenzahlen mit dem Bau von Autobahnen und Schnellstraßen aufgefangen werden können und beruft sich hierbei auf die Erfolge der Deutschen in den 30er Jahren und auch der USA in den Fünfzigern als durch gigantische Infrastrukturmaßnahmen unzählige Menschen plötzlich Arbeit fanden.

Nachtrag: Telepolis sieht es ähnlich.

 

Bundesverkehrsministerium lobt heimlich

Laut Recherchen der tageszeitung hat das Bundesverkehrsministerium am Montag einen Preis für "Mobilität in der Stadt" vergeben. Dabei sollen Städte ausgezeichnet worden sein, die sich vorbildlich um Mobilität kümmern. Die dabei vertretenen Werte sind absolut unterstützenswert:

"Wir müssen den nichtmotorisierten Individualverkehr fördern", sagte Verkehrsstaatssekretär Ulrich Kasparick. Angesichts der zur Neige gehenden Ölvorräte sei ein "Weiter so" nicht möglich, zudem erfordere die demografische Entwicklung ein Umdenken auch in der kommunalen Verkehrspolitik.

Minister Tiefensee wollte sich wohl lieber nicht dazu äußern, auf der Seite des Bundesverkehrsministeriums wird der Preis sicherheitshalber gar nicht erwähnt. Dafür wird das "Arbeitsplatzprogramm Bauen und Verkehr" promiment vorgestellt, das vom Anfang des letzten Jahrhunderts zu stammen scheint. Der weitaus größte Posten ist der Straßenbau, mehr als 5 Milliarden Euro sollen dafür ausgegeben werden.

Verdenken kann man es dem Minister nicht. In der Krise muss man an seinen Arbeitsplatz denken und es ist schließlich noch nie jemand dafür gefeuert worden, Straßen gebaut zu haben.

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